In Florenz wurde er schließlich auf Initiative Piero Soderinis überzeugt, für seine Heimatstadt ein Gemälde zu übernehmen, das so groß wie das werden sollte, mit dem er Mailand geschmückt hatte. Dies war ein Schlachtengemälde, das eine der Wände des neuen Ratssaals, der Sala dei Cinquecento im Palazzo della Signoria dekorieren sollte. Er wählte eine Episode über den Sieg der Republik über Niccolo Piccinino nahe einer Brücke bei Anghiari, im oberen Tibertal. Der junge Michelangelo wurde sogleich mit einem konkurrierenden Schlachtengemälde auf einer anderen Wand des gleichen Saals betraut; er wählte als Thema die Schlacht bei Cascina. Bildlich plante er die Überraschung der Florentiner Truppen beim Baden bei Pisa darzustellen. Etwa zur gleichen Zeit nahm Leonardo an der Diskussion über den angebrachten Platz für Michelangelos gerade vollendeten kolossalen David teil und bestimmte für die Loggia dei Lanzi, gegen die Mehrheit und Michelangelo selbst. Weder Leonardos Genie noch seine vornehmen Manieren konnten das rüde und spottende Temperament des jungen Manns dämpfen, dessen künstlerischer Stil sich nichtsdestoweniger in dieser Zeit durch Leonardos Vorbild tief greifend veränderte.

In einem der Abschnitte seines projektierten Traktats über die Malerei hat Leonardo ausführlich, und offenbar aus seinen eigenen Beobachtungen, die bildlichen Aspekte einer Schlacht beschrieben. Seine Wahl des Themas in diesem Fall kam sicherlich nicht von seiner Kriegsliebe oder Gleichgültigkeit gegenüber den Schrecken des Kriegs. In seinen Manuskripten kommen fast so viele scharfe Sprüche über das Leben und die menschlichen Angelegenheiten wie über die Kunst und die Naturgesetze vor; und den Krieg hat er in zwei Worten als bestialischen Irrsinn (pazzia bestialissima) abgetan. In seinen Plänen für den Ratssaal nahm er sich vor, diesen Irrsinn in seiner ganzen Schärfe darzustellen. Er wählte den Moment eines schrecklichen Kampfs um die Fahnen der gegenüberstehenden Seiten. Wenn man das wirre Durcheinander von Menschen und Pferden und die Darstellung kriegerischer Raserei und Verzweiflung nach den Berichten derjenigen, die es gesehen haben, und nach den fragmentarischen überlieferten Indizien beurteilt, muss es mit einer Meisterschaft erdacht und wiedergegeben worden sein, die nicht weniger imposant war als die Blicke und Gesten des Kummers und der Verwirrung des stillen Ensembles auf der Konventswand in Mailand.

anghiarischlacht_gemaeldeDer Leonardo zugewiesene Ort für die Vorbereitung seines Kartons war der Sala del Papa in Santa Maria Novella. Dieses eine Mal arbeitete er stetig und unermüdlich an seiner Aufgabe. Seine Berichte an die Signoria erlauben uns, seinem Fortschritt Schritt für Schritt zu folgen. Er hatte den Karton in weniger als zwei Jahren beendet (1504-1505), und als er zusammen mit dem Michelangelos ausgestellt wurde, erschienen allen die beiden konkurrierenden Werke als eine neue Offenbarung der Mächte der Kunst und dienten den Studenten der Generation als Modell und Beispiel, so wie die Fresken von Masaccio in Santa Maria del Carmine denen zwei Generationen früher gedient hatten. Der junge Raffael, dessen unvergleichlicher Instinkt für rhythmisches Zeichnung bis dahin entsprechend den umbrischen Tradition an Themen von heiliger Stille und versunkenem Nachdenken geübt worden war, lernte von Leonardos Beispiel, den gleichen Instinkt auf Gegenstände heftiger Handlung und Streit anzuwenden. Vom gleichen Beispiel nahmen auf ähnliche Weise Fra Bartolommeo und eine Schar anderer Florentiner Maler der aufsteigenden Generation neue Impulse.

Der Meister verlor keine Zeit, zur Übertragung seines Entwurfs auf die Maueroberfläche zu schreiten. Dieses Mal hatte er eine technische Methode erfunden, die er nach einem vorläufigen Versuch im Sala del Papa für erfolgversprechend hielt. Die Farben – ob Tempera oder andere ist zweifelhaft – mussten auf einen speziell präparierten Untergrund aufgetragen werden, und dann mussten Farben und Untergrund durch die Anwendung von Wärme auf der Mauer befestigt werden. Als die zentrale Gruppe fertig war, wurde Hitze angewendet, aber man fand, dass sie ungleichmäßig wirkte: die Farben im oberen Teil verliefen oder schuppten von der Wand ab, und das Resultat war ein ziemlicher Fehlschlag.

Die unvollendete und verfallene Malerei blieb für rund fünfzig Jahre auf der Wand, wurde nach 1560 aber mit neuen Fresken von Vasari überdeckt. Der Karton hielt nicht so lange. Nachdem er seine Aufgabe als inspirierendes Beispiel für Schüler erfüllt hatte, scheint er zerschnitten worden zu sein.

Weiterhin malte er auch die Heilige Anna Selbtritt (auch Selbdritt von “zu Dritt”), ein träumerisches Bildnis mütterlicher Liebe, welches er 1510 fertigstellte.

Im Hospital des Klosters Santa Maria Nuova betrieb Leonardo damals auch umfangreiche anatomische Studien. In dieser Zeit war die Sektion von Leichen geächtet, offiziell verboten und nur gelegentlich an hingerichteten Straftätern von der katholischen Kirche erlaubt. Deshalb musste er die Sektionen heimlich vornehmen. Bei dennoch vorkommenden Nachfragen begründete er seine Tätigkeit damit, dass solche Studien ihm in der Malerei bei der korrekten Darstellung menschlicher Körper mit ihren Proportionen, sichtbaren Muskel und anderen anatomischen Details helfen würden. Aber im Grunde wollte er vielmehr wissen, was sich unter den Muskeln befindet. Anschließend verbindet er seine Faszination für Anatomie und seine Leidenschaft für Mechanik, um den ersten Roboter der Welt zu erbauen. Dieser war ursprünglich für eines der spektakulären Feste von Ludovico Sforza, Herzog von Mailand, entworfen und soll später dort auch in einer Grotte platziert worden sein. In den folgenden Jahren beschäftigt Leonardo sich besonders eingehend mit Anatomie, Medizin, Botanik, Geologie und Geometrie.

Als Leonardo 1516 Italien endgültig verließ, ließ er den größeren Teil seiner Arbeiten aus dieser Zeit zur Lagerung im Kloster von Santa Maria Nuova zurück, wo er gewöhnlich auch sein Geld hinterlegte. Doch scheint vieles davon schon bald von dort verschwunden zu sein. Unsere einzigen existierenden Erinnerungen an das große Werk sind einige kleine Federstudien von kämpfenden Männern und Pferden, drei hervorragende Studien in roter Kreide in Budapest für Köpfe in der Hauptgruppe, ein Kopf in Oxford in der Kopie eines Zeitgenossen in Originalgröße; eine kleine Skizze von Raffael, auch in Oxford; ein Stich von Zacchia aus Lucca von 1558, nicht nach dem Original, sondern nach einer Kopie; eine flämische Zeichnung der Hauptgruppe aus dem 16. Jahrhundert; und eine weitere von Rubens, beides Kopien von Kopien.